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Gastfreundschaft in Terzín, in Tachechien

Mal sehen was wir heute so rocken

07. August 2021

Es ist 12 Uhr, die Sonne Scheint, der Wind kommt von vorn, die Zelte sind eingepackt und schon einiges an Arbeit erledigt, was parallel ja auch alles noch zu bewältigen ist. Allein dieser Blog hier hat heute Morgen schon wieder zwei Stunden in Anspruch genommen mit Fotos und Videos aussortieren und bearbeiten, den Taxt von gestern Nacht noch korrigieren und erweitern… Alles mehr Arbeit als wir uns das vorgestellt haben, aber trotzdem schön, auch gleich alles immer Revue passieren zu lassen, wie in einem Tagebuch. Das bringt auch viel Bewusstsein in das, was wir tun.

Andreas bei der Pressearbeit am Morgen

Das Frühstück bestand bisher aus einem Powerrigel und ein paar Nüssen. Vielleicht nicht das gehaltvollste, wenn man sich 90 Kilometer Radfahren vorgenommen hat, vor allem auf unsere, spezielle Weise . Wir haben uns mit Sonnencreme vorsorglich bedeckt und ich werde heute das erste mal meinen Strohhut aufsetzen. Also, auf geht es den kleinen Schlammigen Pfad zur Straße zurück, in dem wir gestern Nacht noch fast stecken geblieben währen und „on the Road again“.

Zurück zur Straße von unserem Schlafplatz

Ok, die Ereignisse der letzten vier Stunden wollen erst einmal verdaut sein und so schreibe ich hier auf dem Rücksitz des Dandems, während wir uns kontinuierlich der Deutschen Grenze nähern.

Vor vier Stunden sah das noch ganz anders aus, aber von vorn!


Die gerissene Kette

Fünf Kilometer vor Terezín, eine Minute vor dem Nachgeben des schwächsten Glieds in der Kette

Wir waren gerade mal fünf Kilometer unterwegs, da gab es auf einmal merkwürdige Geräusche, die nebenbei gestern schon anfingen und die wir auf die Schaltung zurückführten, da bewegte sich auf einmal die Kette nicht mehr weiter… verdammt der nächste Worstcase: ein gebrochenes Kettenglied!!! 

Was jetzt?… Wir riefen gleich unseren Freund Arne an, der schon auf dem Weg zu uns mit dem Fahrrad war, um dann mein Auto abzuholen und nach Cuxhaven, zu unserem Endziel zu fahren. Wir baten ihn uns Werkzeug mitzubringen, da wir leider genau dass nicht mitgenommen hatten. So hatten wir wenigstens die Aussicht, am Abend weiter zu kommen.

Das kaputte Kettenglied, kurz vor Terezín

Also, was tun? Ich reparierte völlig notdürftig das fast herausgesprungene Kettenglied mit einer Kneifzange und wir radelten fast im Schritttempo bis zum nächsten Dorf. Dort angekommen, hatten wir keine große Hoffnung auf irgend eine Hilfe. Wir rätselten noch, wie wir es anstellen sollen einen Fahrradladen am Samstag Nachmittag aufzutreiben, da sah ich beim letzten Haus des Dorfes ein Mann an einem Lieferwagen, vor einer Kneipe stehen. Kurz entschlossen sprachen wir ihn an. Da er weder Englisch, noch Deutsch verstand und wir des tschechischen nicht mächtig sind, zeigte ich ihm unser Problem. Sofort verschwand er wortlos durch sein Hoftor und kam wenig später mit einem Kettennieter wieder. Große Erleichterung bei uns und ein fettes grinsen im Gesicht. Mit weißem Hemd und schmierigen Händen versuchten wir das Kettenglied zu entfernen, wussten aber noch nicht so recht, wie man eine Kette wieder zusammen bekommt, ohne noch mehr kaputt zu machen. Der Mann erkannte unser Problem und ging abermals durchs Tor und brachte eine niegelnagel neue Kette mit, die er uns wahrscheinlich sogar geschenkt hätte. Wir gaben ihm 20 € die wir für solche Notfälle eingesteckt hatten, als Dankeschön und versuchten nun diese Kette anzubringen. Der Witz war, dass das Kettenschloss, das es zu der neuen Kette gab, nicht passte und wir trotz YouTube Tutorials auf denen das alles ganz einfach aussah und Versuchen von einem vierten Dorfbewohner, alle kläglich scheiterten. Am Ende versuchte ich es noch einmal mit der alten Kette und bekam sie tatsächlich zusammen, so dass wir glücklich nach einer Dreiviertelstunde weiter fahren konnten und Arne Entwarnung gaben. Die Kette ließen wir natürlichen da, sowie die 20 € und der Mann gab uns sogar noch Waschpaste und ein Eimer Wasser um unsere Hände für die Weiterfahrt sauber zu machen.

In einem kleinen Dorf vor Terezín halfen uns gleich mehrere Leute, mit deren Hilfe wir wenig später weiterfahren konnten

Was für ein unglaubliches, unwahrscheinliche Ereignis. Wie verrückt ist es, mitten in der Pampa in einem kleinen Dörfchen den erst besten Menschen um Hilfe zu bitten, der einem dann auch noch promt alles zur Verfügung stellt was man zur Weiterreise braucht. Ich sag euch, das war gestern die Sternschnuppe, die wir gesehen haben. Sogar mein Hemd blieb bei der Aktion weiß!


Terezín

Kurze Zeit später erreichten wir ehemals Theresienstadt und standen unvermittelt und unerwartet vor dem ehemaligen Konzentrationslager. Geld hatten wir leider noch keines verdient, so blieb uns nur eine Gedenkpause einzulegen in der mir wirklich die Tränen kamen, beim Anblick der Gräber, die ein ganzes Feld vor dem Denkmal bedecken.

Gedenkpause vor dem ehemaligen Konzentrationslager Theresienstadt, in dem 33000 Menschen ermordet wurden

Mit etwas gedämpfter Stimmung fuhren wir gleich einmal in die verkehrte Richtung. Was aber auch ganz gut war, wie sich schnell herausstellen sollte. Wir hielten kurz an einer Tankstelle, wo Andreas nach dem richtigen Weg fragen wollte. Da ich keine Maske hatte, ging Andreas allein hinein und während ich wartete, kam auf einmal ein Mann, Oberkörper frei, interessiert auf mich zu und fragte in gebrochenem Deutsch, was das auf dem Hänger sei und wohin ich wolle. Der Mann war sehr sympathisch und als er erkannte, dass wir ein Klavier auf dem Hänger hatten, lud er uns ganz aufgeregt ein, für seine Schwiegermutter im Schrebergarten zu spielen, die heute Geburtstag hat. Kein Scherz! Wir machten aus:“In 5 Minuten, in 5 Minuten sind wir im Garten und spielen für deine Schwiegermutter“.

Gastfreundschaft in Terzín, in Tschechien

Gesagt getan und gleich zur Begrüßung gab es einen Whisky, den wir nicht ausschlagen durften. Nach nur einem Stück wurde uns schon ordentlich Essen aufgetan mit frischen, Tomaten und Gurken aus dem Garten und natürlich einem Bier. Bei herzlicher Atmosphäre und lustiger Verständigung über die sechzehnjährige Tochter, die recht gut englisch konnte, mussten wir aufpassen, nicht die Zeit zu vergessen. Nach einem weiteren Stück auf dem Klavier und dem unabwendbaren Verabschiedungswhisky fuhren wir in die richtige Richtung weiter und bekamen sogar noch einen ganzen Beutel mit frisch geernteten Gemüse als Wegzehrung.

Spontanes Geburtstagskonzert in einer tschechischen Gartensparte

Weiter, bis in die Nacht an der Elbe entlang

Gerade hatten wir wieder ein wunder, wunderschönes Erlebnis. Wir sind schon im Dunkeln unterwegs und kamen durch ein kleines Dörfchen, wo wir an einer kleinen Dorfkneipe vorbei kamen und einige noch da saßen und ihr Bier tranken. Sie empfingen uns mit lauten Johlen. Spontan stiegen wir ab, da wir sowieso bei der nächsten Gelegenheit noch Wasser auffüllen wollten, bauten den Sitz an das Tastdem und spielten den begeisterten Zuhörern unser Stück „Alles ist möglich“ vor. Es gab dann auch großen Applaus und Jubelrufe, absolut beispielhaft für die kleine Menge an Menschen. Und natürlich, worum man hier in Tschechien leider nicht herum kommt, bekamen wir ein Bier und einen Schnaps. Nach netten Gesprächen und noch einer Improvisation mit einer Dame von den Leuten, fuhren wir mit frisch aufgefüllten Wasserflaschen weiter. Die Herzlichkeit der Leute hier in Tschechien ist einfach großartig, zumindest der, denen wir bisher begegnet sind!

Jetzt sind wir weiter nach Deutschland unterwegs, es ist 21:20 Uhr und angenehmer Nieselregen weht uns ins Gesicht. So macht das Reisen einfach nur Spaß, also verhungern und verdursten werden wir auf gar keinen Fall. Es ist nur die Frage, ob wir es schaffen hier nüchtern zu bleiben. Wohl kaum!

Freude Pur am Tastdem bei Repnice
Begeisterte Zuhörer beim nächtlichen Spontankonzert bei Repnice

Um 00:30 irgendwo vor Ústí nad Labem in strömenden Regen

Kann mich mal bitte eine kneifen?! So viel Ereignis und Erlebnis am Einem Tag reicht doch nun wirklich langsam.

Nach unserem wirklich netten Zwischenstopp bei der Kneipe kamen wir wirklich gut ohne weitere Vorkommnisse voran, nur dass es mittlerweile wie aus Kannen schüttete und wir mit Steigungen zu kämpfen hatten, bei denen es mitten in der Nacht all unsere Kräfte erforderte, diese zu überwinden. Wir waren sogar zweimal gezwungen Anhänger und Tandem einzeln hochzuquälen, weil es anders nicht möglich gewesen wäre.

Mit all unserer Kraft, bei strömendem Regen überwinden wir sogar die schlimmsten Steigungen in der Nacht

Es war schon fast Ein Uhr Nachts, als wir eine nervige Passage direkt an der Elbe passieren mussten, die wir nur im Schritttempo fuhren. Überall hatten die Wurzeln der Bäume Bodenwellen verursacht, um sich ihren Teil zurückzuerkämpfen. Trotz der Langsamkeit war es aber aufgrund des stetigen Regens und der Dunkelheit unmöglich das folgende zu vermeiden. Plötzlich gab es ein sehr bedenkliches Geräusch, dass uns sofort anhalten ließ und als wir begriffen, was das pschffffffff bedeutet, sahen wir den Salat. Wir waren durch ein mit Wasser gefülltes Schlagloch mit dem linken Reifen des Anhängers gefahren, dessen Scharfe Kannten, trotz der Langsamkeit ausreichten, den nächsten und hoffentlich letzten „Worstcase“ zu verursachen: Einen Platten vom Feinsten. Ich meine, muss das sein? Warum?!!! Reicht denn eine gerissene Kette noch nicht für diesen Tag, Starkregen und zwei mal sich verfahren zu haben? Wie flickt man denn bitte mitten in einer regnerischen Nacht einen Reifen?

Platten um 00:30 Uhr im strömenden Regen bei Ústi nad Labem

Durchatmen und erst einmal überlegen und bei aller Ambitioniertheit und Abenteuergeist etwas Realismus walten lassen. Arne, der Freund, der das Auto aus Tschechien abholen sollte, hing zudem noch in den Bergen fest, den ein Gewitter vom Weiterkommen hinderte, da er die wahnsinnige Idee hatte mit dem Rennrad zu fahren. Das versprochene Ersatzrad, das wir eigentlich zum Wagen dazubestellt und versprochen bekommen hatten, war bei der Abnahme auch noch nicht fertig gewesen. Echte Scheiße! Sowas von ärgerlich, denn einfach das Rad zu wechseln währe wenigstens möglich gewesen. Nach dem wir noch versucht hatten vergebens jemanden zu finden, bei dem wir unsere Zelte aufstellen dürfen, blieb nur noch eine Möglichkeit, auch angesichts unseres Zeitplans, der nun schon zum wiederholten Male in sich zusammen viel.

Wir machten alles regenfest und während ich mich alleine auf das Tandem schwang, um die 56 Kilometer auf geradem Wege, über die Landstraßen zu meinem Auto zu fahren, versucht Andreas sich warm zu halten und die Sachen vor dem Regen und der totalen Durchnässung zu retten.

Von Ústí nad Labem nach Mêlník alleine mit dem Tandem um 02:30 Uhr in der Nacht

Nachdem ich allen Ernstes sogar fast ein Reh mit dem Tandem überfahren hätte, kam ich vollkommen erschöpft, um vier Uhr morgens in Mêlník, beim Auto an. Nach dem Einladen des sperrigen Tandems fuhr ich gleich los, um eine Dreiviertel Stunde später wieder bei Andreas und unseren ganzen Sachen zu sein, den Motor abzustellen und sofort vor Erschöpfung eine halbe Stunde die Augen zu schließen.

Andreas und Arne luden alles ein und für das Verstauen des Anhängers und der Räder auf dem Autodach war ich wieder fit genug mitzuhelfen und sogar weiter zu fahren. Wir beschlossen, Tschechien abzukürzen, um direkt hinter der Grenze in Bad Schandau erst einmal drei Stunden, zu dritt in einem überfüllten Auto zu schlafen und morgen weiterzusehen.

Ein wenig erholsamer Schlaf kurz vor der deutschen Grenze nach einer „Marathonnacht“

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