16. August 2021
Es ist 9:30 Uhr und wir sind mental etwas am Ende. Wir fühlen uns körperlich nicht mehr so fit, wie noch vor drei Tagen. Der Schlafmangel, die Sonne und die körperliche Anstrengung laugen uns langsam aber sicher aus. Andreas hat Hals- und Kopfschmerzen, unsere Gesichter glühen und trotz dem wir literweise Wasser in uns reinkippen, sind unsere Lippen trocken und aufgesprungen. Alle Ideen und Versuche, die Strecke zwischen Magdeburg und Wittenberge elegant hinter uns zu lassen, ohne uns völlig kaputt zu machen und noch mehr in Zeitverzug zu geraten, sind bisher gescheitert. Wir haben sogar schon mit der Schifffahrtbehörde telefoniert, ob uns nicht ein Frachtschiff in dieser Richtung aufnehmen kann. Das wäre an sich kein Problem, aber gerade fahre da nichts, weil die Elbe zu wenig Wasser führt. Inwieweit das stimmt, können wir jetzt nicht sagen, aber auch das klappt nicht.
Ob ihr es glaubt oder nicht, aber wir haben unseren Termin mit der Kulturdezernentin von Magdeburg um 13:00 Uhr heute völlig vergessen, sitzen unter dem Wasserkreuz Magdeburg und müssen jetzt noch mal die fünfzehn Kilometer nach Magdeburg zurückradeln. Immerhin, ein Team von Radio SAW hat sich zu dem Treffen noch angekündigt und die Pressesprecherin der Stadt auch. Zusätzlich will sogar die Redakteurin vom gestrigen MDR-Team kommen und noch ein Foto für die DPA schießen.
Nach einigem Hin- und Herüberlegen, ob wir das nun machen oder einfach absagen und weiterfahren, entdeckten wir diese verheißungsvolle Stelle am Mantel des linken Rades unseres Anhängers. Ausschlaggebend für die Entscheidung, zurückzufahren und noch einmal in einem Fahrradladen unser Glück zu versuchen, um mit ruhigem Gewissen weiterfahren zu können. So ein platzender Reifen bei schneller Fahrt ist sicher nicht so lustig! Außerdem ist gestern auch noch eine Speiche gebrochen, juchuh.
14:00 Uhr: Jetzt sitzen wir da, wo wir gestern schon waren, am Ulrichsplatz. Nur, dass wir in der Zwischenzeit über fünfunddreißig Kilometer zurückgelegt haben. Mal sehen, wie es weitergeht… Egal wie, heute Abend wollen wir in Wittenberge sein!
19:00 Uhr und immer noch in Magdeburg. Zitat Andreas: „Wir haben gerade einen ganz großen Hänger“
Wir haben einen ganz großen Hänger! Das wird uns mehr und mehr bewusst. Nachdem wir die Kulturdezernentin von Magdeburg und die Leute von Radio SAW getroffen hatten, machten wir uns auf den direkten Weg zu einem großen Fahrradladen. Das Ergebnis: Leider ernüchternd. Sie hatten unseren Mantel nicht da, waren aber so lieb und telefonierten bei einigen Kollegen und Werkstätten durch, leider auch wiederum mit der traurigen Wahrheit. Es gibt in Magdeburg anscheinend nicht den Radmantel, den wir brauchen.
In der Zwischenzeit ergab sich noch ein Termin. Mann, Mann, Mann… Noch ein Fotograf wollte Bilder von uns für zwei Zeitschriften machen. Wir fuhren also wieder zur Elbe und machten kurz vor dem einsetzenden Regen und stürmischen Wetter noch ein paar Fotos.
Jetzt reichte es uns endgültig, hier in Magdeburg zu versauern und wir beschlossen, wie schon gestern, die S-Bahn nach Wittenberge zu nehmen. Beim Bahnhof angekommen, gab es natürlich keinen ebenerdigen Zugang zum Gleis eins und der Fahrstuhl war zu klein für unseren Anhänger. Wir wollten schon alles abladen und einzeln zum Gleis bringen, da machte uns jemand darauf aufmerksam, dass Lastenanhänger seit eineinhalb Jahren nicht mehr von der Deutschen Bahn befördert werden und es auch keine Ausnahmen gibt. Hach, da kommt Freude auf! Entschuldigt den Zynismus, aber die Luft ist echt gerade raus.
Nach zweistündigem Herumtelefonieren, Abwarten, Weitertelefonieren, Absagen kassieren, Hoffnung schöpfen und Weitertelefonieren, gab es endlich ein Aufatmen. Wir kommen heute noch aus Magdeburg weg, auch wenn es erst 23:30 Uhr realisierbar ist und es leider nicht auf den eleganten Wegen des Wassers oder den Schienen funktioniert hat. Immerhin, diesmal kommt uns jemand mit einem Anhänger abholen, fährt von Witternberge gerade her und mit uns und Sack und Pack wieder zurück. Das ist echt ein großartiger Einsatz. Es sind sogar die gleichen, die uns ein Haus zum Übernachten angeboten haben und die wir uns nun noch mehr freuen, kennenzulernen.
Zuflucht vor Kälte und Nässe während des Wartens auf unsere Retter aus Wittenberge
Derweil sind wir in einem riesigen, leeren Flur untergekommen, solange bis der Wachdienst uns verscheucht. Hoffen wir, dass er noch lange auf sich warten lässt, denn hier ist es wenigstens warm und trocken und ich kann einmal in Ruhe den Blog weiterschreiben.
Pünktlich, als wir gerade den Anruf unseres Retters erhalten hatten, dass er in zwanzig Minuten da ist, kam der Wachdienst rein: „So, raus hier!“ Das hätte ich mir persönlich etwas netter gewünscht, aber wie sollte er auch wissen, dass wir „Kulturpenner“ sind. Egal, es war trotzdem ein perfektes Timing und wir hatten dort immerhin vier Stunden unsere Ruhe.
00:30 Uhr alles ist verstaut und es geht nach Wittenberge
Wow, jetzt ist alles auf dem Anhänger verstaut. Win hat alles ihm Verfügbare in Bewegung gesetzt, um uns zu helfen. Sein Freund Remo ist gefahren, jemand anderes hat den Anhänger für den Anhänger gesponsert und seine liebe Frau hat sogar ein kleines Picknick mit Kaffee vorbereitet, das uns vor der Abfahrt noch Kraft gab.
5:30 Uhr: Unglaublich, aber wahr. Wir haben eben gerade ein Konzert gegeben.
Es ist zu verrückt! Diese Reise ist einfach mehr als nur ein Abenteuer. Nach einer Autofahrt mit anregenden Gesprächen über Rilke, diverse Philosophen und anderen Dichtern und Denkern, wurden Picknicksachen samt einer Flasche Wein eingepackt und ein Journalist kontaktiert. Grund dafür war die verrückte Idee von Win, ein Nachtkonzert an der Elbe zu erleben. Zwar völlig übermüdete, aber bereit für die Idee, fuhren wir zur Elbebrücke mit Blick über die Elbwiesen auf Wittenberge. Das Kuriose war, dass trotz der nächtlichen Stunde doch einige LKWs unterwegs waren. Wir schafften es sogar noch daran zu denken, das Konzert dieses Mal zu streamen und fingen um 3:45 Uhr damit an. Sagen wir mal so, der Wind, die Lastwagen und die Kälte machten es nicht gerade zu unserem schönsten Erlebnis, aber auf jeden Fall zu einem besonderen, verrückten, abenteuerlichen. Erstaunlicher Weise gab es neben unseren Gastgebern und dem ambitionierten Journalisten sogar Zuschauer, die online um diese Zeit mitschauten.
Jetzt ist es um 6:00 Uhr und wir sind endlich in der Waagerechten und können die brennenden Augen schließen. Wir hoffen, dass uns ein wenig Schlaf vergönnt wird. Gute Nacht…. ach nein, ich meine guten Morgen 😉
Wie dem auch sei, wir schlafen erst einmal eine Runde.
Hier geht´s zum nächsten Eintrag: Warten auf Anna und Dankestour durch Wittenberge
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